Nikolaustag

Einige werden sich an die Geschichte vom letzten Jahr erinnern. Ich stelle sie zum Nikolaustag noch einmal ein…

NACKTER KRIECHT IN FREMDES BETT

meldete t-online am 1.12. 2010

Aus dieser Schlagzeile entstand die folgende Geschichte…

Verschlafen blinzelte sie durch die halb geöffneten Augen und suchte die Leuchtziffern ihres Uhrenradios. Es war erst zwei Uhr dreiundzwanzig. Innerlich atmete sie auf. Sie konnte noch vier Stunden schlafen. Plötzlich durchzuckte etwas ihren schlaftrunkenen Körper. Sie riss die Augen auf und hielt unwillkürlich den Atem an. Mit einem Schlag war sie hellwach.

Hinter sich vernahm sie tiefe, regelmäßige Atemzüge. Sie wagte nicht, sich zu bewegen. Verzweifelt überlegte sie, ob sich in der unmittelbaren Umgebung ihres Bettes ein Baseballschläger, Hammer oder ein Nudelholz befanden. Natürlich bewahrte sie Utensilien dieser Art woanders auf, nämlich dort, wo sie hingehörten.

Sie ballte ihre linke Hand zur Faust, rückte leise und lautlos an die Kante ihres Bettes und knipste entschlossen die Nachttischlampe an. Mit einem Ruck drehte sie sich um, ballte beide Hände entschlossen zur Faust, bereit, ihr Leben bis aufs Letzte zu verteidigen.

Im schwachen Schein der Nachttischlampe blickte sie in ein schlafendes Männergesicht. Dunkle verwuschelte Haare schauten keck unter der Bettdecke hervor. Ein jungenhaftes Gesicht mit einem braunen Vollbart schlief den Schlaf der Gerechten. Sie knipste die Nachttischlampe wieder aus, bevor der ungebetene Gast in ihrem Bett etwas merkte und kletterte leise aus dem Bett.

Sie schlich aus dem Schlafzimmer, zog die Tür leise zu und schloss sie ab.

Sie atmete aus und merkte, wie ihr der Schweiß am ganzen Körper herunter rann.

Leise schlich sie in die Küche, nahm eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank, zündete sich eine Zigarette an und versuchte, ihre wirren Gedanken zu ordnen.

Wie kam ein fremder Mann in ihre Single-Wohnung und sogar in ihr Bett?

„ Ich muss die Polizei rufen“, war der erste klare Gedanke, den sie fassen konnte. Schon hatte sie das Telefon in der Hand, legte es aber sogleich wieder auf den Tisch zurück.

Ein Einbrecher hätte sie bestohlen, gefesselt oder sie gar umgebracht, aber sich nicht zu ihr ins Bett gelegt. Die Polizei würde ihr kaum glauben, dass ein Einbrecher in ihrem Bett lag und in tiefstem Schlaf versunken war.  Sie beschloss, die Situation alleine zu klären.

In einer Küchenschublade lag eine Dose Pfefferspray, in einer anderen ein schweres Nudelholz.  Mit dem Nötigsten bewaffnet, untersuchte sie die Eingangstür im Flur, die ordnungsgemäß verschlossen war. Die Fenster in der Wohnung waren alle verschlossen. Sie begriff nicht, wie der Kerl in ihre Wohnung gekommen war!?

Sie schloss die Schlafzimmertür leise auf, postierte sich in gebührendem Abstand vor dem Bett  und schrie: „Raus hier, sonst rufe ich die Polizei!“

Der fremde Mann saß plötzlich aufrecht im Bett. Während ihre Augen sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt hatten, schien er deutliche Orientierungsschwierigkeiten zu haben.

„Nein, bitte nicht, ich kann Ihnen alles erklären!“ Seine Stimme klang flehentlich, fast verzweifelt. Das war kein Einbrecher. Wieder Herr der Lage knipste sie die Schlafzimmerlampe an und schaute ihm fest ins Gesicht.

„Wer sind Sie und wer hat Ihnen erlaubt, sich ungefragt in mein Bett zu legen?“

Der Fremde saß aufrecht im Bett, zog sich das Deckbett verschämt bis zum Kinn über seinen scheinbar nackten Körper und bat sie um einen Morgenmantel, da er nichts anhabe.

„Sie rühren sich keinen Zentimeter aus dem Bett, solange ich nicht weiß, wer Sie sind und wie Sie hereingekommen sind.“

„Ich bin der Nikolaus“, antwortete er zaghaft.

„Sie sind …wer?“

„Ich bin für eine Agentur unterwegs und fülle Nikolausstiefel vor Wohnungstüren. Als ich in ihre Straße einbog, fing es plötzlich fürchterlich an zu regnen und ich war kurzum nass bis auf die Haut.“

„Als nächstes werden Sie mir weismachen, im Himmel sei Jahrmarkt. Ich rufe besser die Polizei, denen können Sie ihre Märchen erzählen.“

„Bitte, warten Sie. In Ihrem Badezimmer hängen meine Kleider über der Heizung. Ihr Badezimmerfenster  war einen Spalt weit offen und von dort bin ich auch rein gekommen. Eine Kleinigkeit, es zu öffnen und hinein zu klettern.  Die Lichter in Ihrem Fenster waren so einladend, der Tannenduft und der Geruch nach gebackenen Keksen in ihrer Wohnung so verlockend. Ich fror und fühlte plötzlich eine bleierne Müdigkeit und so bin ich zu Ihnen ins Bett gekrochen. Ich wollte mich nur ein wenig aufwärmen und ein wenig ausruhen und ganz leise wieder verschwinden. Sie hätten nichts gemerkt.“

So eine Geschichte hatte ihr noch niemand erzählt. Der Mann in ihrem Bett war um die dreißig, hatte leuchtend blaue Augen und einen dichten dunklen Wuschelkopf.

„Rühren Sie sich keinen Zentimeter von der Stelle.“

Sie schloss ihn erneut im Schlafzimmer ein, ging ins Bad – und tatsächlich hing ein rotes Nikolauskostüm fein säuberlich über der Heizung. Der volle weiße Bart, vom Regen durchtränkt,  lag über dem Badewannenrand und seine  feuchten Schuhe  standen ordentlich nebeneinander gestellt neben der Badewanne.

Der Regen prasselte gegen ihre Fensterscheibe. Lag in den letzten Tagen noch alles unter einer tiefen Schneedecke, so riss der strömende Regen die weiße Pracht unerbittlich mit sich und verwandelte sie in eine weißgraue Flüssigkeit. Bei diesem Wetter würde man nicht mal einen Hund vor die Tür jagen. Alle Angst war von ihr abgefallen, im Gegenteil, die Situation war urkomisch und belustigte sie. Ob ihr jemand diese Geschichte glauben würde?

Sie nahm ihren dunkelroten Frotteebademantel vom Haken, suchte im Flur nach ein paar dicken Socken und ging ins Schlafzimmer zurück.

„Ziehen Sie sich etwas an. In der Zwischenzeit koche ich Ihnen einen heißen Tee.“ Sie warf ihm die Sachen aufs Bett und ging in die Küche.

Der Duft von Kräutertee zog wohlriechend durch die Küche, als sich der Nikolaus an den Tisch setzte und nach einem Lebkuchen griff.

„Ich heiße übrigens Klaus“.

„Und ich Ina.“

Ina setzte sich zu ihm an den Tisch und goss ihm und sich eine Tasse heißen Tee ein.

„Ihre Sachen sind noch nicht trocken. So können sie sie nicht anziehen.“

„Ich muss aber weiter, ich habe noch viele Stiefel zu füllen. Wenn ich das nicht mache, wird mich die Agentur nicht bezahlen. Und ich brauche das Geld dringend – ich bin Student.“

„Ich werde Ihre Kleider in den Wäschetrockner stecken und bei kleiner Temperatur dürfte alles in einer Stunde trocken sein. Solange können wir aber noch schlafen.“

„Eine gute Idee“, antwortete der Nikolaus.

Eingekuschelt  in Inas dunkelroten Frotteebademantel schlief Klaus sofort wieder ein.

Als Inas Wecker klingelte, war er bereits weg.

Auf dem Küchentisch lag eine Schachtel Merci-Schokolade, daneben ein Zettel.

Mein rettender Engel,

ich möchte dich unbedingt wiedersehen.

Danke für alles.

Ich rufe dich heute Abend an.

Dein Nikolaus.

G.Bessen /12/2010

Über Anna-Lena

Lehrerin im Un-Ruhestand, mit vielen Hobbys, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Ich lese viel, schreibe gern selber und fotografiere, was mir vor die Linse kommt.
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29 Antworten zu Nikolaustag

  1. buchstabenwiese schreibt:

    Ich erinnere mich, liebe Anna-Lena.

    Aber immer wieder schön zu lesen. *schmunzel*

    Liebe Grüße und einen schönen Nikolaustag,
    Martina

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  2. rosadora schreibt:

    der hat ja noch die kurve gekriegt. ich bangte, er würde verschlafen…
    grüsse in deinen tag
    rosadora

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  3. Himmelhoch schreibt:

    So schön kann das Leben spielen, wenn man das Badezimmerfenster einen Spalt offen stehen lässt!
    Schade, dass ich so hoch oben wohne!
    Mit lachenden Grüßen von Clara

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  4. weylandreisen schreibt:

    Ach Gott, da geht einem ja das Herz auf! Einen schoenen Nikolaustag wuensche ich auch dir! Herzliche Gruesse ,Marliese.

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  5. Gudrun schreibt:

    Eine schöne Nikolausgeschichte, liebe Anna-Lena. Dankeschön. Das war ein kleines, schönes Nikolausgeschenk.

    Liebe Grüße von der Gudrun

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  6. Elisabeth schreibt:

    Eine wunderschöne Nikolausgeschichte, liebe Anna-Lena,

    zum Träumen und Lächeln und… einfach gut gelaunt in den Tag zu gehen 🙂
    Danke dir herzlich ~ alles Liebe auch für dich zum hl. Nikolaus!
    Elisabeth

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  7. april schreibt:

    Ich kenne sie zwar, aber ich lese sie immer wieder gerne, schmunzelnd. Und: am liebsten wüsste man, wie es weiter geht 😉

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  8. Träumerle Kerstin schreibt:

    Jaaa – und ich muss auch heut wieder lachen über diese Geschichte.
    Viele liebe Grüße von Kerstin.

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  9. Ocean schreibt:

    Guten Abend, liebe Anna-Lena 🙂

    die Geschichte gefällt mir total … ob so etwas wohl auch in der Realität mal passieren könnte? einfach schön und hinterläßt ein gutes Gefühl! danke dafür ..ich hatte sie letztes Jahr nicht gelesen 🙂

    Dir noch einen schönen Nikolausabend und liebe Grüße, Ocean

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  10. Josie schreibt:

    Liebe Anna-Lena,
    mit dieser süßen Geschichte hast du mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert! Wunderbar zu lesen und irgendwie reizt sie, sie weiter zu träumen! Genau das richtige für dieses trübe Hamburger Schmuddelwetter!

    Danke!

    Liebe Grüße, Josie

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  11. Traveller schreibt:

    Ein schönes Nikolausmärchen ! Auch beim zweiten Lesen.

    Lieben Gruß
    Uta

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  12. CK schreibt:

    …und wenn sie nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute friedlich miteinander. Ein schöne Nikolausgeschichte. Fast könnte man den Armen doch ein wenig bedauern.
    LG, Christiane

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    • Anna-Lena schreibt:

      Das ist das Schöne am Schreiben, man kann alles mit seinen Figuren machen, so wie es gerade passt 🙂
      nun, bedauern muss man ihn nicht, er hat doch seinen rettenden Engel gefunden. Das ist etwas, was so manchem Nikolaus niemals widerfahren wird. Somit ist er eher ein wahrer Glückspilz.

      Einen lieben Gruß in eine meiner Lieblingsstädte 🙂

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  13. minibares schreibt:

    Eine richtig schöne Nikolaus-Story, die ans Herz geht.
    ich meine, mich erinnern zu können ans letzte Jahr. Aber egal, es war bezaubernd, sie zu lesen,
    Herzlichen Dank, die Sonne kommt gerade nach dem heftigen Regen durch die dicken Wolken. Das passt alles wunderbar.

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  14. bruni kantz schreibt:

    Mensch, Anna-Lenchen, was für eine goldige Geschichte! Ich kenne sie nicht aus dem letzten Jahr, weiß auch nicht warum. Erinnert mich irgendwie an meinen Windhauch *lach*. Als ich Pfefferspray las, war ich nicht konzentriert und las erstmal Pfefferminzspray… ☺
    Toll, diese Geschichte gefällt mir sehr. Einen lieben Gruß schickt Dir Bruni in die Nacht.

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  15. die3kas schreibt:

    Ich kannte die Geschichte noch nicht,
    zumindest kann ich mich jetzt nicht erinnern… Sie ist aber toll!
    Danke für die nette geschichte.

    Liebe Grüsse, kkk

    Übrigens… ich nehme keinerlei Schmerzmittel mehr,
    nicht mal jetzt wo mich die Erkältung voll im Griff hat.
    Ist das nicht toll!
    Kannst du berichten 😉

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    • Anna-Lena schreibt:

      Liebe kkk,

      vor einem Jahr kannten wir uns noch nicht, deshalb kanntest du die Geschichte auch nicht 😆
      Das ist ja irre, dass du ohne Schmerzmittel auskommst. Ich freue mich mit dir.
      Ich habe den Tipp meiner Mutter mitgeteilt, wir haben es im Hinterkopf. Ich denke, im neuen Jahr schreibe ich mal über ihre Odyssee 😯

      Alles Liebe und eine gute Nacht,
      Anna-Lena ♥

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