Rosemarie Marschner: Das Jagdhaus

Rosemarie Marschner:  Das Jagdhaus

Mein heutiger Lesetipp

 Kürzlich stellte ich Euch „Das Bücherzimmer“ von Rosemarie Marschner vor.

„Das Jagdhaus“ folgt dem vorigen Roman zeitlich, von 1939 bis zum Ende des Krieges und beleuchtet das Leben der großbürgerlichen Familie Bellago in einem Villenvorort von Linz.

Lilly, die jüngste der beiden Mädchen von Ferdinand und Antonia Bellago, wird getauft. Die fröhliche Feier endet mit der Bekanntmachung von Antonias Eltern, in die italienische Heimat der Mutter, Laura Bethany, zu reisen, denn Antonias Vater, ein Hochschullehrer, möchte seiner Überzeugung treu bleiben und das kann er im nationalsozialistischen Linz nicht mehr gefahrlos.

Antonias jüngerer Bruder Peter, gerade mal  zwölf Jahre alt,  will seinen Eltern nicht nach Italien folgen und bleibt bei Antonias Familie, ihrem Mann, ihren Kindern und ihren Schwiegereltern.

Der Krieg fordert seinen Tribut. Im bis dahin verschonten Linz  (Hitler setzte alles daran, die Stadt auszubauen als seinen späteren Ruhesitz)  werden heimlich immer mehr Fragen gestellt, was aus den Menschen geworden ist, die das Land verlassen freiwillig hatten, aber nicht zurück gekommen waren. Und diejenigen, die man abgeholt hatte, nach denen wurde auch gefragt, leise und hinter vorgehaltener Hand.

Das Blatt hatte sich gewendet. Von der einstigen Begeisterung für den Führer und seine versprochenen Wohltaten war kaum noch etwas übrig, außer Misstrauen, Enttäuschung und Wut, doch noch zu wenig, um aktiven Widerstand zu leisten.

Ferdinand Bellago und sein Anwaltsfreund Thomas Harlander wurden, wie viele andere Männer eingezogen, und obwohl diese Einberufung auf einer Denunziation basierte, war sie nicht mehr ungeschehen zu machen.

Auch die wohlhabenden  Familien mussten den Gürtel immer enger schnallen und blieben vor fremden Einquartierungen nicht verschont. Zwei Frauen aus Hamburg und ein vierjähriger verstörter Junge wurden unfreiwillig als Flüchtlinge im Gartenhaus der Villa Bellago aufgenommen.

Peter blieb kaum Zeit für die Schule, um seinen Traum, Rechtsanwalt zu werden zu verwirklichen. Als Flakhelfer und eingebunden bei der HJ blieb ihm kaum private Zeit.

Antonias Schwiegereltern übergaben ihr immer mehr die Verantwortung für die Familie. Doch als die Amerikaner die ersten Bomben auf Linz abwarfen, wurde Antonia mit beiden Kindern in das Jagdhaus der Familie aufs Land geschickt, von dessen Existenz sie bisher nichts wusste.

Antonia und die Kinder verbrachten dort mehrere Monate. Doch sie verstanden die Ablehnung nicht, die ihnen von allen Seiten entgegen gebracht wurde. Erst als Antonia von ihrer Nachbarin, Marie Zweisam, bewusstlos aus  Schneeverwehungen gerettet wurde, erfährt sie von ihr die dunklen Geheimnisse des Jagdhauses.

Und hier schließt sich der Kreis zum Band „Das Bücherzimmer“.

Als Marie von ihrer Schwiegermutter denunziert worden war, hilft ihr jemand aus der Klemme und bewahrt sie vor dem KZ: Thomas Harlander, der Freund und Partner von Ferdinand Bellago, mit dem Marie das verbindet, was ihr Leben und das ihrer Mutter seit vielen Jahren belastet hat.

Während „Das Bücherzimmer“ vorwiegend Maries Leben, aber auch die Entwicklung Maries als Dienstmädchen im Haushalt der Villa Horbach, den Tod ihrer Mutter und ihre spätere unglückliche  Ehe mit dem Bäckersohn Janus beinhaltet, konzentriert sich „Das Jagdhaus“ zwar überwiegend auf das Leben der Familie Bellago und die Kriegswirren bis zum Kriegsende, doch die Stimmung der Österreicher von der anfänglichen Begeisterung bis hin zur Ernüchterung und Enttäuschung nimmt einen breiten Raum ein.

Die Lebensumstände der Menschen in Österreich, aber auch in anderen Gebieten, die Verzweiflung, ob dieser Krieg je ein Ende haben wird, der irrsinnige Glaube einiger an den „Endsieg“ im Zeichen von Millionen Kriegsopfern nimmt einen breiten Raum ein, sensibel geschrieben, doch auch mit aller Deutlichkeit.

Der Schluss des Buches ist eine Art happy end, doch auch mit einer gewissen Tragik. Peter ist vom Krieg dermaßen traumatisiert, dass er Zeit braucht, die Erlebnisse zu verarbeiten. Ferdinand kehrt  unversehrt aus dem Krieg zu seiner Familie zurück, doch was aus Thomas und Marie wird, ob sich Verbindungen zu den Bellagos entwickeln, ist offen. Das wäre  einen Folgeband wert.

Wer Interesse hat, sollte beide Bücher lesen, denn beide sind ausgesprochen lesenswert und gehören auch zusammen (selbst wenn sie nicht zwingend aufeinander aufbauen).

Inhaltlich spannend, in einem flüssigen und angenehmen Stil geschrieben, mit einem Hintergrundwissen aus einer Zeit, die niemand mehr haben möchte.

das_jagdhausBildquelle

Taschenbuch: 464 Seiten,
erschienen: 01.12.2014
ISBN: 978-3-423-21559-6
€ 9,95

© G. Bessen 3/16

Über Anna-Lena

Lehrerin im Un-Ruhestand, mit vielen Hobbys, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Ich lese viel, schreibe gern selber und fotografiere, was mir vor die Linse kommt.
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16 Antworten zu Rosemarie Marschner: Das Jagdhaus

  1. leonieloewin schreibt:

    Danke für das Vorstellenn. Die Zeit meiner Rückkehr in die Bücherstuben naht :-). Liebe Grüße Leonie

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  2. finbarsgift schreibt:

    Das klingt interessant, liebe Buchbesprecherin, Dankeschön!

    Herzliche Frühlingsgrüße vom Lu

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  3. Agnes schreibt:

    Ich hatte jetzt ein paar Probleme die sehr ausführliche Beschreibung des Buches nachzuvollziehen.
    An einigen Stellen hatte ich ein paar Probleme dem Ablauf zu folgen.
    Habe mir zur Sicherheit noch bei der Histo-Couch und bei Lovelybooks die Beschreibungen angesehen.
    Ich denke den Tenor der Geschichte habe ich begriffen, und ich denke, dass es ein sehr lesenswertes Buch ist.
    Wahrscheinlich macht es aber Sinn „Das Bücherzimmer“ vorher zu lesen.
    Unsere Bibliothek hat die beiden Bücher leider nicht, aber ich werde mir die beiden Titel dennoch mal merken, obschon ich noch so viel Lesestoff habe, dass ich im Moment nicht weiß wann ich die lesen sollte.
    LG
    Agnes

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    • Anna-Lena schreibt:

      Meine Mail hat dir hoffentlich Klarheit verschafft, liebe Agnes.
      Ja, ich würde beide lesen, denn dann hast du den geschichtlichen Hintergrund vollständig.
      Übrigens habe ich beide Bücher ganz billig und gebraucht (aber in sehr! gutem Zustand) bei medimops gekauft.

      Mein Stapel wächst und wächst auch …..

      LG Anna-Lena

      LG Anna-Lena

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  4. Ingrid schreibt:

    Danke für diesen guten Tipp. Ich finde immer, Romane über diese Zeit gehen viel mehr unter die Haut als nüchterne Fakten im Geschichtsbuch.
    LG, Ingrid

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    • Anna-Lena schreibt:

      Ja, liebe Ingrid, das stimmt wohl. Und wir beide wissen sehr wohl, dass sich Schüler nicht automatisch für ein Fach interessieren, dass sie auf dem Stundenplan haben.

      Von mir selbst weiß ich auch, dass ich bestimmte Zusammenhänge auch erst später, im Studium und sogar noch später begriffen hatte.

      Ich lese aktuell deinen Buchtipp von neulich: Die Bücherdiebin 🙂

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