Mal tiefer geblickt…

Ich mag Friedhöfe, besonders zu dieser Jahreszeit, wenn der Rhododendron  in voller Blüte steht. Eine besondere Stille umfängt diesen Raum, hin und wieder unterbrochen vom Lied der Amsel oder neugierigen Spatzen, die überall ein Krümelchen vermuten und umher hüpfen.

Rhododendron

Und plötzlich sind sie da, die leeren Augen der Toten, die mich von rechts und links schräg unten beobachten, als seien sie mir auf den Fersen, die mich mit ihrem Dauerlächeln erschrecken, weil sie zu keiner anderen Gesichtsregung mehr fähig sind. Wie viele leere Augenhöhlen folgen mir auf meinem Weg? Wie lang ist mein eigener Weg noch, bis mich unzählige skelettierte Hände in das Reich der Tiefe ziehen?

Die Idylle ist wie eine Nebelschwade von der Sonne aufgeleckt worden. Der Frieden ist dahin, das Unheimliche, das nicht zu Erklärende hat sie verdrängt, eine bittere Realität, die im normalen Leben gern verdrängt wird, greift um sich.

Ich stelle die Gießkanne an ihren Platz und schaue mich nach allen Seiten um. Niemand ist zu sehen, nur die zahllosen Toten unter mir sind meine Zeugen.

Auf dem Parkplatz hat sich eine Trauergemeinde angesammelt. Die Sträuße in ihren Händen und die gedeckte Kleidung verraten, dass sie in Kürze an einer Beisetzung teilnehmen werden. Sie sind fröhlich, noch,  und verdrängen den Gedanken daran, weshalb sie hier zusammen gekommen sind.

Die Realität wird sie einholen, bald und ohne Gnade. Die Tränen werden fließen und sie werden einen weiteren Menschen aus ihrer Mitte dem Reich der Toten anvertrauen, ein Gedanke, der sicher noch unglaublich und unfassbar ist.
Das passt nicht zu dem blauen Sommerhimmel, dem satten Grün ringsum und den Vögeln, die unbeirrt ihre Lieder zwitschern.

Doch bald setzt sich der Schmerz – fürs Erste – und dann wird der oder des Toten gedacht. Die Tränen werden versiegen und es darf auch gelacht werden, denn das Leben geht weiter – noch.Guter Hirte

© G. Bessen 11.6.15

Über Anna-Lena

Lehrerin im Un-Ruhestand, mit vielen Hobbys, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Ich lese viel, schreibe gern selber und fotografiere, was mir vor die Linse kommt.
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21 Antworten zu Mal tiefer geblickt…

  1. Helmut Maier schreibt:

    Ich habe gar nicht den Eindruck, dass mich die Aufnahme meines Leibes – in welcher Form auch immer – in die Erde schreckt. Im Gegenteil: Ich fühle mich dort einmal gut aufgehoben. Keine Skelett-Hände werden mich in die Tiefe ziehen, sondern die Kräfte des Natur-Lebens werden meine Bausteine in neues Leben umsetzen. Viel mehr ungewiss bin ich, wie ich das Beenden des geistigen Lebens verkraften werde, oder das der Verbindung von Seele und Leib. Aber ich hoffe auch da auf Hilfe von geistigen Kräften, denen ich mich vertrauensvoll anheimgeben kann.

    Liebe Grüße
    Helmut

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  2. lifetellsstories schreibt:

    Ach Anna-Lena, ich habe richtig Gänsehaut bekommen. Eigentlich mag ich keine Friedhöfe. Trotzdem gehen wir hin und wieder im Ausland auch mal auf einen Friedhof, denn auch das kann interessant sein.
    Aber dieses Jahr haben wir schon an zwei Beerdigungen von lieben Menschen teilgenommen,- mein Bedarf ist erst einmal gedeckt.
    Übrigens: Schau mal in meinen Blog unter „Tatort Friedhof“, so kann ein Friedhofsbesuch auch ausgehen.
    LG
    Astrid

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    • Anna-Lena schreibt:

      Durch das Grab meines Vaters habe ich natürlich öfter da „zu tun“ und da kommen solche Gedanken hin und wieder, wenn gerade jemand frisch beigesetzt wurde oder so eine Trauergemeinde dort auftaucht.
      In dieser Woche haben wir um das Leben eines sehr guten Freundes gebangt, das mag für solche Gedanken auch förderlich gewesen sein.

      LG Anna-Lena

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  3. HoetusPoetus schreibt:

    …… Boahhhh ….
    Es fing so schön blumig und zwitschernd an…. und kam die „Klatsche“ ….
    WIE IM WAHREN LEBEN – eben!

    Ja…. im Sommer gleicht das Grab meiner Ma einem „Gärtchen“ … mit Marienkäfern aus Holz, Libellen aus Metall, einer Vogeltränke für die Piepmätze…. eine 3 teilige Steinraupe, die sich quer über und „unter“ der Erde herschlängelt…. und ein großer Wichtel…. DER, je nachdem wie man IHN anguckt… auch manchmal (keine Ahnung wie er das macht) zurückguckt…. Ich sage bewußt WICHTEL…. denn es ist ein Wichtel – KEIN Zwerg! – DIE mochte unsere Ma nicht 😉
    …. dann sind da noch die Blumen … in allen Farben …. oft mogelt sich auch ein Fleißiges Lieschen dazu…. NIEMALS.NIE.NIMMER jedoch egel in welcher Farbe Stiefmütterchen!
    DAS hat alles so seinen Sinn!!! 😉
    …… und wenn man es nicht wüßte, dass es ein Grab ist… man würde sagen
    „Oh wie wunder wunder schön“ …. aber eigentlich ist es das ja wunderschön… aber auch sehr traurig…. und dann stehen wir da „lachen“ uns schlapp über dieses bunte Grab inmitten all der „normalen“ Gräber …. und dann weinen wir zum Abschied … ja …. zum Abschied weinen wir immer!

    Ganz liebe Grüße und „DANKE“ für die Gänsehaut am frühen Morgen ….: skelettierte Hände
    buhhhhhhhaaaaa …. ich bin doch soooo schissig …. Katja

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    • Anna-Lena schreibt:

      Jeder sollte die Gräber seiner Lieben so gestalten, wie es ihm beliebt. Bei Kindergräbern habe ich auch schon allerlei Spielzeug gesehen, manchmal für meinen Geschmack etwas zu kitschig, aber die Betroffenen haben sicher ihre Gründe. Vielleicht hilft ihnen das bei der Trauerbewältigung und darauf kommt es ja letztendlich an, sich damit zu arrangieren.

      Liebe Grüße
      Anna-Lena

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  4. quersatzein schreibt:

    Ja, an solchen Orten ist immer alles gleichzeitig da: Trauer und Freude, Erschrecken und Ruhe, Vergangenheit und Gegenwart, Fülle und Mangel…

    Ich mag diese melancholischen Höfe des Friedens, meistens jedenfalls.
    Lieben Gruss,
    Brigitte

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    • Anna-Lena schreibt:

      Genau das ist es, die unterschiedlichsten Gefühle streiten oft miteinander. Es ist eben nicht nur ein schön angelegtes Stück Kulturland mit ausschließlich positiven Gefühlen.

      Liebe Grüße
      Anna-Lena

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  5. Frau Momo schreibt:

    Ich mag Friedhöfe auch, für mich haben sie was friedliches.

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  6. bruni8wortbehagen schreibt:

    huch, jetzt hast du mich aber erschreckt, liebe Anna-Lena.

    geht es dir wirklich so auf friedhöfen? Seltsamerweise schrecken sie mich nicht, haben mich nie geschreckt. Ich denke heute noch gerne an die Friedhofsbesuche mit meiner oma zurück, deren jüngste Tochter da begraben lag. Mit 7 Jahren an Diphterie bestorben, kurz nach dem Krieg.
    Dann kam ich zur Welt und erhielt ihren namen. ich fühlte mich seltsam geborgen vor diesem kleinen Grab. den Kummer meiner oma, ihrer mutter, konnte ich nicht erkennen.

    Die Lindenbäume blühten, die Sonne schien durch die zweige und goldenes wärmendes licht hüllte uns beide ein. Das kleine mädchen an der hand der älteren frau.

    vielleicht ginge es mir so, wenn ich nachts einen Friedhofsspaziergang machen würde, aber ehrlich gesagt, das unterlasse ich lieber…

    herzlich grüße von bruni an dich

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  7. Brigitte schreibt:

    Ich gehe gerne über Friedhöfe. Besonders über unsere schönen Waldfriedhöfe. Oder aber auch über einen Friedhof in einem anderen Land. Besonders beeindruckend für mich ist der Friedhof am Heimatort meines Signores auf Sizilien. Da sind die meisten Toten in sogenannten Schubladen untergebracht, d. h. sie werden mit ihrem Sarg eingemauert. Und dann kann man außer dem Namen, Geburtstag und Sterbetag, immer auch ein Bild des Verstorbenen sehen. Das ist nochmal etwas anderes.

    Für mich hat ein Friedhof etwas Friedvolles.

    Du hast das jedoch sehr eindrucksvoll beschrieben. Mir wurde vom Lesen tatsächlich schaurig und ich bin kaum zu erschrecken.

    Schönes Wochenende und lieben Gruß, Brigitte

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    • Anna-Lena schreibt:

      Mir gefällt generell die Art, wie die Menschen in Südeuropa beigesetzt werden. Was du von Sizilien beschreibst, habe ich in Spanien und Italien erlebt.
      Bilder von Verstorbenen habe ich bei uns auch oft schon in einen Stein eingearbeitet gesehen.
      Ich selbst tendiere mal zu einer Friedwald-Beerdigung.

      Liebe Grüße und auch dir ein schönes Wochenende,
      Anna-Lena

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  8. Ich denke wie Helmut. Er hat seine Gedanken gut beschrieben.
    Wir wissen so wenig über das Ende des Lebens und müssen uns mit Vorstellungen behelfen.
    Ich weiß ja nicht, wie es Dir geht, ich habe so ein Gefühl in mir, dass alles seine Richtigkeit hat – das Leben und derTod. Deswegen kann ich ruhig damit umgehen.

    Trotzdem würde ich nicht gerne nachts in einem Friedhof spazieren gehen 😉

    LG
    Barbara

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    • Anna-Lena schreibt:

      Ja, Helmuts Worte haben mich auch beeindruckt. Ruhig umgehen kann ich nicht immer damit, aber auch dein Gefühl mit der Richtigkeit habe ich auch tief in mir.
      LG Anna-Lena

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  9. gabymuenchen schreibt:

    Liebe Anna-Lena, vor dem Friedhof brauchen wir uns nun wirklich nicht zu fürchten. Es gibt keinen friedlicheren Ort. Diejenigen, die dort unter der Erde liegen, ruhen in Frieden, sie alle haben „es geschafft“ und tun uns nichts mehr – im Gegensatz zu den Lebenden. Ich arbeite in einer Friedhofsgärtnerei am schönen Münchner Waldfriedhof und habe täglich mit trauernden Menschen zu tun. Schlimm wird es für mich dann, wenn ein junger Mensch oder gar ein Kind den Kampf um´s Leben verloren hat. Die trauernden Eltern in Sachen Floristik zu beraten – das ist schon eine harte Nummer… Dennoch schätze ich den Friedhof als einen Ort des Loslassens.
    Ich wünsche dir, dass du bei deinem nächsten Besuch einfach nur die Ruhe genießen kannst, ganz ohne Furcht. Liebe Grüße, Gaby

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    • Anna-Lena schreibt:

      Meistens bin ich bei solchen Besuchen auch entspannt, aber hin und wieder geht es ans Eingemachte.
      Ein Kind zu verlieren, ist das Schlimmste, was man sich vorstellen kann.
      Du hast sicher auch keinen leichten Job und brauchst eine Menge Fingerspitzengefühl.

      LG Anna-Lena

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  10. suebilderblog schreibt:

    Für mich haben Friedhöfe auch etwas Tröstliches. Ich mag die Ruhe dort, das Vogelgezwitscher und bei uns auf dem Dorf auch hin und wieder das Gespräch mit anderen Friedhofsbesuchern, denn bei uns kennt jeder noch jeden. Man spricht auch über die Verstorbenen, was gerade zu Trauerzeiten sehr tröstlich sein kann (ich hab es so empfunden).
    An leere Augenhöhlen und skelettierte Hände denke ich nicht, für mich sind die Verstorbenen eigentlich nicht auf dem Friedhof in der Erde, für mich sind sie in einer anderen, besseren Welt ohne Schmerz, ohne Krankheiten und ohne Sorgen.
    LG Susanne

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