Geplänkel aus dem Kiez

Geplänkel aus dem Kiez
Im Zeitungsladen:

„Moin.“
„Moin.“
Der Zeitungsverkäufer Ole Petersen legt Willi Schneider aus dem ersten Stock die Tageszeitung hin, ein morgendliches Ritual gegen halb acht.
„Gibbet wat Neues“?
„Nö. Nichts gehört. Ist ja auch noch früh am Tag.“
„Na, dann. Bis morgen.“
„Jo, mach‘ et jut.“
„Jo, du auch.“

Beim Bäcker:

Willis nächster Weg führt ihn zum Bäcker, jeden Morgen, um kurz nach halb acht.

„Moin.“
„Moin.“
„Wie immer“?
„Wie immer“.
„Noch wat?“
„Nö, heute nicht.“
„Grüß schön“.
„Du auch“!

Willis Frau trifft die Bäckersfrau zwei Stunden später auf dem Friedhof. Die Angehörigen beider Frauen haben ihre letzte Ruhestätte nebeneinander. Beide Frauen pflücken verwelkte Blüten ab und haben einen Strauß frischer Gartenblumen mitgebracht.

„Moin Ilse.“
„Moin Herta“.
„Heiß heute.“
„Kreislaufwetter.“
„Haste gehört, die Frau vom Fleischer Karl ist gestorben.“
„Sach bloß! Wie das“?
„Herzinfarkt – ging ganz schnell.“
„Da hat se ja Glück gehabt.“
„Jo. Schöner Tod, kurz und schmerzlos“.
„Armer Karl“.
„Jo, sie war noch gar nicht alt“.

Schweigend versorgen beide die Gräber und hängen ihren eigenen Gedanken nach.
Nach kurzer Zeit trennen sich ihre Wege. Ilse muss zum Arzt, Herta geht zum Frisör.

Ilse beim Arzt

Ilse ist gerade in die „Bild der Frau“ vertieft, als sich Heide aus dem Nachbarhaus neben sie setzt.

„Moin Ilse“.
„Moin Heide“.
„Wat is los mit dir“?
„Der Rücken, wie immer. Und bei dir“?
„Die Knie. Auch wie immer“.
„Bei dem Wetter auch kein Wunder.“
„Nee, das ist doch kein Sommer“.
„Wahrhaftig nicht“.
„Hast du schon von Frieda gehört“?
„Furchtbar! Der arme Karl“.

Das Gespräch wird unterbrochen, denn Ilse wird ins Sprechzimmer des Orthopäden gerufen.

„Mach et jut“.
„Jo, du auch“.
Herta beim Frisör

„Wat kocht man denn heute so“?
Die Frisörin schlägt einen Salat mit Thunfisch vor.
„Dat kann ich meinem Ole nicht zumuten. Der fragt mich doch glatt, ob er plötzlich wie ein Karnickel aussieht“!
„Der Ole könnte ruhig mal ein paar Kilos abspecken“.
„Meinen Sie“?
„Aber ja“.
„Et jeht ihm aber jut. Nur manchmal tun seine Gelenke weh“.
„Deshalb sollte er ja ein paar Kilos abnehmen“.

Herta sieht an sich herunter und wird auf einmal still.

Beim Bezahlen flüstert sie der Frisörin zu:
„Heute mache ich Salat. Ein paar Kilos weniger würden mir auch gut zu Gesicht stehen“.

© G.Bessen

Mein Kiez ist dort, wo man mich kennt
und häufig meinen Namen nennt.

Der Bäcker an der nächsten Ecke,
reserviert mir meine Frühstücksschnecke,
mit Pudding oder Pflaumenmus
und dickem süßen Zuckerguss.

Am Kiosk hol’ ich jeden Morgen
die neue Zeitung, voller Sorgen.
Was war auf unserer Erde los?
Im Kiez und überall, ganz groß?

Noch heute geh’ ich zum Friseur,
die Haare sind mir stets Malheur,

doch Sermin kriegt sie wieder hin
und das ist ganz in meinem Sinn.

Bei Kemal komm’ ich nicht vorbei,
denn er hat immer allerlei,
ob Fleisch, Gemüse oder Obst,
dort werd’ ich viele Euros los.

Die Kneipe um die andre Ecke,
versteckt von einer großen Hecke,
ist stets beliebter Anlaufpunkt,
für Jung und Alt, für Schlank und Rund.

Dort wird geklönt und viel gelacht,
bis dann der Wirt sagt „Gute Nacht.
Kommt mir alle gut nach Hause
und trinkt vorm Schlafen noch ‘ne Brause.

Denn morgen ist ein neuer Tag
und komme wieder, wer es mag.
Dann klönen wir sehr gerne weiter,
mit guter Laune und ganz heiter.“

In meinem Kiez, da ist was los,
das Leben ist dort ganz famos.
Und drum herum die laute Stadt,
in der man alles, was man braucht, auch hat.

Da möchte ich mal steinalt werden,
und irgendwann hier auch mal sterben.
Wenn meine Uhr ist abgelaufen,
werd’ ich mir keine Haare raufen.

In meinem Kiez bin ich geborgen,
da mache ich mir keine Sorgen.
Die Freunde werden bei mir sein
und trinken danach guten Wein.

Mein Kiez bleibt dort, wo man mich kannte
und gerne meinen Namen nannte.

©G.Bessen,  2008

Über Anna-Lena

Lehrerin im Un-Ruhestand, mit vielen Hobbys, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Ich lese viel, schreibe gern selber und fotografiere, was mir vor die Linse kommt.
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43 Antworten zu Geplänkel aus dem Kiez

  1. Quer schreibt:

    Das hört sich richtig „heimelig“ an, wie man bei uns sagt. Halt Gemeinschaft im besten Sinne.
    Lieben Gruss,
    Brigitte

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  2. petra schreibt:

    Dem Volk aufs Maul geschaut!

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  3. Regina schreibt:

    Liebe Anna Lena,
    ja, so eine Umgebung, in der jeder jeden kennt kann sehr schön sein. Ich lebe ja auch außerhalb einer kleinen Stadt, ländlich, mit wenigen Nachbarn, die sich aber alle kennen. Gespräche beim Bäcker oder Frsör laufen ganz ähnlich ab, auch auf dem Friedhof oder beim Arzt. Mir gefällt das, auch wenn vieles oberflächlich ist (manchmal). Ich frage mich dann oft, ob eigentlich ein echtes Interesse an der eigenen Person besteht. Aber ich schließe mich da nicht aus und stelle mir selbst die gleiche frage: Interessiert mich das, was Herr X. oder Frau Y. erzählt? Ja, tut es, jedenfalls meist.
    Liebe Grüße
    Regina

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    • Anna-Lena schreibt:

      Ich weiß das Ländliche mittlerweile auch zu schätzen, liebe Regina. Die Anonymität, den Stress und die Hektik hatte ich lange genug in Berlin.

      Solche Gespräche kenne ich auch von früher, wenn ich mit meiner Mutter oder meiner Tante einkaufen war. An jeder ecke traf man Bekannte und es wurde getratscht, dass sich die Balken biegen.
      Selbst, wenn es manchmal eine eher oberflächliche Kommunikation ist, so ist es aber eine.

      Liebe Grüße
      Anna-Lena

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  4. Arno von Rosen schreibt:

    Kiez ist sicher eine friedvolle beruhigende Umgebung. Als Weltenwanderer fehlt mir diese Perspektive leider völlig, aber das kann ja noch kommen.

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  5. bruni8wortbehagen schreibt:

    immer wieder schön, schön, schööön, liebe Anna-Lena!

    Lieber Gruß von mir

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  6. minibares schreibt:

    Liebe Anna-Lena,
    ja der Kiez.
    Eine innige Gemeinschaft, in der man gut alt werden kann.
    deine Bärbel

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  7. kormoranflug schreibt:

    Hah im Norden von Berlin wohnen wohl viele Hamburger: Moin Moin….

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  8. helmutmaier schreibt:

    Die Wohnumgebung, soweit ich sie kenne, alles wie immer – ja, und doch nicht. Aber das Vertraute überdauert die Katastrophen des Alltags …

    Liebe Grüße
    Helmut

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  9. Helga/Rheinland schreibt:

    Herrlich … aus dem prallen Leben!
    Tausendmal gehört und lesenswert von Dir niedergeschrieben, Anna-Lena!
    Schmunzelnde Grüße von Helga

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  10. cosmea49 schreibt:

    Obwohl ich aus Bayern bin, muss ich sagen: Des isch ja richtig heimelig! Und da, wo man sich daheim fühlt, da fühlt man sich wohl. Alles ist vertraut, und das „Geplänkel“ ist überall gleich, schon 100 x genau so gehört – auf bayrisch.

    Ich hab gelacht!

    Endlich mal was Nettes! Das Grauen kommt wieder ganz von selber – täglich.

    Danke dir!

    Lieben Gruß, Brigitte

    Gefällt 1 Person

  11. Sylvia Kling schreibt:

    So schön geschrieben und man ist sofort im Geschehen, was ich an Deiner Erzählform besonders mag.
    💜

    Gefällt 1 Person

  12. freiedenkerin schreibt:

    So in etwa geht’s hier in „meinem“ Viertel auch zu, obwohl wir natürlich etwas anders sprechen. 😉

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  13. Frau Momo schreibt:

    Ein bißchen ist es so auf unserer Insel. Man kennt sich, man hält einen Snack, wenn man sich trifft und ich mag das sehr

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    • Anna-Lena schreibt:

      Verstehe ich sehr gut. Das gibt ein Gefühl des Vertrauens, des Aufgehobenseins und der Sicherheit. Darüber hinaus macht das auch viel das Gefühl Heimat aus.
      Durch deine vielen Einsätze fern der Heimat wird dir das sicher doppelt bewusst.

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  14. Ingrid schreibt:

    Jaja, et Veedel 😉 Auch wenn es nur Geplänkel ist, unbedeutendes Gerede, so vermittelt es doch sicher jedem im Veedel/Kiez ein Dazugehörigkeitsgefühl.

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  15. Michael Hermann schreibt:

    Bei genauerer Betrachtung Monotonie gegen den monotonen Alltag. … aber schön – sehr schön 🙂
    Diese Heimeligkeit braucht jeder.
    Liebe Grüße,
    Michael

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  16. ernstblumenstein schreibt:

    Deine anregenden Geplänkel im Berliner Dialekt und deinen Text mag ich sehr.
    Herzliche Grüsse. Ernst
    Zwei kauzige Männer haben sich länger nicht gesehen und treffen sich auf der Strasse:
    Churz abonde KURZ ANGEBUNDEN ODER WIE GEHT’S
    Wie goht’s? S’goht.
    Wie spoht esch es?
    Spoht.
    Besch zwäg? Schoh.
    Ond du? Ech au.
    Chan ech dr hälfe?
    Worum?
    Ech ha nume gmeint.
    Aha, dorum.
    eb 1992

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  17. Agnes schreibt:

    Wunderschön, aber genau so ist, der typische smalltalk in Deutschland.
    Wir hören hier häufiger solche Freundlichkeiten, wenn ältere Leute die in Plattdeutsch austauschen. Das ist immer so herrlich, wir schmunzeln sehr darüber, wenn wir das z. B. beim Einkaufen hören.
    Ich kann leider nicht korrekt in Plattdeutsch schreiben, in Hochdeutsch wirkt das leider nicht so originell.
    Ich versuch’s mal in einer (selbst ausgedachten) Lautschrift, mit Übersetzung.

    Samstags vor dem Supermarkt:
    Mann A.: Hes dut all binäne? (Hast Du alles zusammen?)
    Mann B.: Jau, de häbt de ja auk noch von (Ja, die haben ja auch genug davon)
    Mann A.: Un de willt datt ja auch wull los wiarn (Und die wollen das ja auch wohl loswerden)
    Mann B.: Dann kannt ja nu Sundag weärn. (Dann kann es ja nun Sonntag werden).

    Mehr hören wir nicht, wir schauten uns an und haben nur geschmunzelt.

    LG
    Agnes

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    • Anna-Lena schreibt:

      Köstlich!!!!! 😆 Ich kann mir das sofort bildlich vorstellen 😆 . Zu schön ist doch so ein Wortwechsel, egal ob platt oder bayrisch oder sächsisch, einfach nur schön und erheiternd.

      Liebe Grüße
      Anna-Lena

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  18. lifetellsstories schreibt:

    Es ist schön, wenn man sich kennt. Ein kurzer Gruß, hier und da eine kleine Unterhaltung, aufeinander achten ohne neugierig oder aufdringlich zu sein, ein Lächeln zuwerfen … solche Kleinigkeiten geben uns das Gefühl Zuhause zu sein, also ein heimatliches Gefühl. Man merkt hier gehört man hin und hier wird man gemocht. Schön!
    LG
    Astrid

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  19. Agnes schreibt:

    Ich vergaß zu erwähnen, dass mir Dein Gedicht zum Kiez auch sehr gut gefällt, es drückt die Stimmung in solchen Vierteln sehr gut aus.

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