Fahrerflucht


Fahrerflucht

Er beugte sich über sie und suchte verzweifelt nach einem Lebenszeichen. Sie atmete ganz flach.

Ihr Körper lag mitten auf der Fahrbahn, schwer verletzt. „Du Dummchen, warum hast du nicht auf mich gehört? Es war zu gefährlich, einfach loszurennen.“ Sie versuchte, den Kopf zu drehen, um zu antworten, aber sie hatte keine Kraft mehr. Ihr kleiner Kopf fiel zur Seite. Sie war tot.

Nervös schaute er nach rechts und links, denn er selbst war in höchster Gefahr. In dieser Kurve kamen die Autos so schnell herangefahren, dass nur eine schnelle Reaktion und ein langer Sprung von der Fahrbahn sein Leben retten konnte.

Und so machte er mehrere Anläufe, sie wenigstens von der Fahrbahn an den Straßenrand zu ziehen. Resigniert gab er auf. Der Berufsverkehr nahm zu und wollte er nicht selber sein Leben lassen, musste er aufgeben.
Er war wütend, dass der Fahrer, der sie überfahren hatte, einfach weiter gefahren war. Warum hatte er nicht wenigstens angehalten und den kleinen Körper an den Straßenrand gelegt? Oder hatte er es nicht einmal bemerkt?
Erbarmungslos donnerten unzählige Autoreifen über sie hinweg. Er hatte sich einen sicheren Platz am Straßenrand gesucht, immer noch in der Hoffnung, sie von der Fahrbahn wegziehen zu können.

Um den kleinen verrenkten Körper hatte sich Blut verteilt. Von weitem sah es aus, wie ein dunkler Fleck und so nahmen es die herannahenden Autofahrer wahr.
Nur im letzten Moment konnte man die kleine tote Eichkatze erkennen, die beim Überqueren der Straße nicht schnell genug gewesen war.
Am nächsten Morgen erinnerte nur ein schwarzbrauner, platt gefahrener, tellergroßer Fleck an sie. Der Eichkater hatte nichts mehr tun können und war weiter gezogen, in einen Wald, in dem er keine Angst haben musste, von den Reifen eines Autos erfasst zu werden.

© Text und Foto: G. Bessen

Über Anna-Lena

Lehrerin im Un-Ruhestand, mit vielen Hobbys, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Ich lese viel, schreibe gern selber und fotografiere, was mir vor die Linse kommt.
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14 Antworten zu Fahrerflucht

  1. Grinsekatz schreibt:

    Am frühen Morgen – Erleichterung, kein Kind, aber Kummer über dieses sinnlose plattfahren. Alles Geschöpfe Gottes…

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  2. finbarsgift schreibt:

    Das tut einem im Herz weh …
    beeindruckend geschrieben.
    LG vom Lu

    Gefällt 3 Personen

  3. quersatzein schreibt:

    Ein süsses Bild zur himmeltraurigen Geschichte…
    Lieben Gruss zum Wochenbeginn,
    Brigitte

    Gefällt 3 Personen

  4. Gabi schreibt:

    …..Was für eine Geschichte!!
    Die Wendung kommt so überraschend, dass ich zunächst ganz verblüfft war.
    Ein Unfall – jemand wurde überfahren – der Verursacher beging Fahrerflucht.
    Man kennt das ja. Und das ist mehr als schlimm. Sowohl, dass es zu einem Unfall kam, als auch die Tatsache, dass Fahrerflucht begangen wird!
    Da kommt das innere Grollen auf, und alle Klischees von „verantwortungslosen“ Autofahrern werden sofort bedient.

    Und dann….ein Eichhörnchen! Ein kleines Geschöpf, noch viel chancenloser als ein etwas unvorsichtiger Mensch, beim Überqueren einer Landstraße…. Es war nicht allein, der Begleiter kümmert sich, muß aber aufgeben….ebenfalls nur ein kleines Wesen, kann der nichts mehr tun, ist verunsichert und verzweifelt.

    Ich habe auch das Foto nicht gleich richtig beachtet, aber vielleicht wär es mir dann trotzdem nicht aufgefallen – wer denkt bei dem Titel der Geschichte daran, dass es sich um ein kleines quirliges Tier handeln könnte…?!

    Diese kleine Geschichte ist so sehr berührend, nach-haltig, greift heftig ins Herz.
    Vielen Dank!
    Ganz herzliche Grüße,
    Gabi

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  5. Sehr traurig, aber an einer so befahrenen Straße anzuhalten und das Opfer von der Straße zu entfernen ist ebenso lebensgefährlich!

    Gefällt 2 Personen

  6. Anna-Lena schreibt:

    Von Herzen DANKE euch allen fürs Lesen und Kommentieren.

    Die Geschichte ist schon älter, das Foto habe ich erst im September im Spreewald gemacht.
    Absichtlich habe ich diese Geschichte hervorgekramt, denn jetzt in dieser dunklen und feuchten Jahreszeit sollten wir ein besonderes Augenmerk auf unsere Mitgeschöpfe haben, die oft einfach in der Dunkelheit übersehen werden.

    Wir wohnen sehr ländlich. Vor ein paar Tagen kam ich am frühen, aber dunklen Abend nach Hause, als ich an einem jungen Mann vorbeifuhr, der offenbar auf jemanden (Förster oder Polizei) wartete. Vor seinem Auto lag ein totes Reh.

    Euch allen stets eine gute und unfallfreie Fahrt mit offenen Augen und Weitblick.

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  7. Ich erinnere mich nicht, diese so sehr berührende Geschichte bei Dir schon mal gelesen zu haben, liebe Anna-Lena.
    Mir war klar, daß Du nicht von Menschen sprichst und tippte auf einen kleinen Hund *lächel*
    Also war das Ende doch überraschend für mich

    Liebe Grüße von Bruni

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  8. Träumerle Kerstin schreibt:

    Das ist so traurig, da weint man fast bei deiner Geschichte.
    Ich habe es selbst im Sommer erfahren müssen. Mein kleiner Kater Mauz wurde auf der Straße überfahren, wir haben ihn erst nach 2 Tagen entdeckt und konnten nur noch die Reste abkratzen, um sie daheim im Garten zu vergraben. Es schmerzt noch immer.
    Liebe Grüße von Kerstin.

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    • Anna-Lena schreibt:

      Liebe Kerstin,
      das tut mir unendlich leid.
      Kaum auszudenken, wenn das unserer Nelly passieren würde 😦 .

      Ich wünsche dir viel Kraft zum Verarbeiten und sende dir liebe Grüße,
      Anna-Lena

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