Jenny Erpenbeck: Geschichte vom alten Kind

Jenny Erpenbeck: Geschichte vom alten Kind

Mein heutiger Lesetipp

Ein Mädchen, vierzehn Jahre alt, wird nachts aufgegriffen. Es hat einen zu großen und unförmigen Körper und einen leeren Eimer in der Hand. Da es keinerlei Erinnerung daran hat, wer es ist und wo es herkommt, wird es in einem Kinderheim abgegeben, in dem es von nun an lebt und in die Schule geht.

Diese Erzählung ist eine merkwürdige Geschichte. Die Autorin, deren eher sachlichen und trockenen Schreibstil ich im Buch: „Gehen, ging, gegangen“ erlebt und erwähnt habe, ist in ihrem Stil hier noch deutlicher ausgeprägt.
Sie spricht immer von „dem Mädchen“, betrachtet sie einerseits aus der Erzählperspektive der 3. Person, ist andererseits jedoch in deren Gedanken und Gefühlswert so intensiv involviert, dass der Eindruck entsteht, sie kennt das Mädchen recht gut.

Das Mädchen bemüht sich, in diesem Heim, das nun sein Zuhause ist, nicht aufzufallen. Es nimmt am Schulunterricht teil, kann aber nichts behalten, so dass die Lehrer es irgendwann nicht weiter beachten. In seiner Klassengemeinschaft ist es weder integriert noch ausgegrenzt. Erst als die Mitschüler merken, dass das Mädchen nicht redet und somit auch niemanden verpetzt, wird sie akzeptiert. Doch niemand kümmert sich eigentlich um sie und sie schließt sich auch weiterhin aus allen gemeinsamen Aktivitäten aus. Am liebsten wäre es ihr, unsichtbar zu sein, aber die Gedanken, Gefühle und Reaktionen aller anderen sind ihr sehr wichtig und halten sie gewissermaßen am Leben.

Der unförmige Körper des Mädchens ist anfällig und als sie für längere Zeit das Krankenzimmer hütet, ist sie von den anderen so gut wie vergessen. Nach einer Einweisung ins Krankenhaus wird sie für die Ärzte ein medizinisches Wunderkind, denn ihr anfälliger Körper verändert sich und sie erhält endlich eine Identität.

Ein ungewöhnliches Buch, das zum Nachdenken bringt und Fragen zur eigenen Identität und dem gesellschaftlichen Miteinander stellt.

Die Autorin stammt aus der ehemaligen DDR und ich könnte mir gut vorstellen, dass diese ungewöhnliche Erzählung von 1999 autobiografische Züge hat.

c/ G. Bessen 1/2016

Taschenbuch, 124 Seiten,                                  geschichte_vom_alten_kind
€ 7.00 ISBN 978-3-442-72686-8
Erscheinungsdatum: 01.07.2001

Bildquelle

Über Anna-Lena

Lehrerin im Un-Ruhestand, mit vielen Hobbys, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Ich lese viel, schreibe gern selber und fotografiere, was mir vor die Linse kommt.
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22 Antworten zu Jenny Erpenbeck: Geschichte vom alten Kind

  1. Sylvia Kling schreibt:

    Das klingt sehr interessant – ich werde es mir kaufen.
    Danke für die Empfehlung 😊.

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  2. leonieloewin schreibt:

    Das hört sich nach einer interessanten Lektüre an. Danke für die Buchvorstellung. Liebe Grüße, Leonie

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  3. Quer schreibt:

    Ein feiner Lesetipp. Danke!
    Und lieben Sonntagsgruss,
    Brigitte

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  4. Lutz schreibt:

    Danke für den Tipp. Dir einen schönen Sonntag. L.G.

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  5. bruni8wortbehagen schreibt:

    Es könnte ein sehr lesenswertes Buch sein, liebe Anna-Lena.
    Meinst Du, es könnte für mich etwas sein?

    Liebe sonntägliche Grüße von mir.
    Puderzuckrig sieht es hier aus 🙂 Zu mehr hat´s scheinbar nicht gereicht.

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  6. Ingrid schreibt:

    Es klingt interessant, aber ich bin mir wegen ihres kargen Stils nicht sicher (ob ich es lesen soll) …
    Liebe Sonntagsgrüße,
    Ingrid

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  7. minibares schreibt:

    Das liest sich richtig spannend.

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  8. Frau Tonari schreibt:

    Jetzt musste ich doch glatt mal gucken, ob die Jenny irgendwie zum Fritz und zum John gehört.
    Und tatsächlich.
    Danke für den Buchtipp. Ich will ja 2016 keine Bücher kaufen, aber es kann ja schon mal auf den Wunschzettel 😉

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  9. wederwill schreibt:

    Das klingt nach „schwerer Kost“ und sehr interessant. Danke für die schöne Buchvorstellung, schon die allein stimmt nachdenklich (ich bin ja auch eine „im Osten Geborene“)
    Ganz liebe Grüße an dich von
    Marlis

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    • Anna-Lena schreibt:

      Ja, ganz leicht ist es nicht.
      Das dritte Buch von Jenny Erpenbeck: Aller Tage Abend habe ich zur Hälfte gelesen und erst mal weggepackt.
      Das ist mir im Moment zu hoch oder mein Kopf nicht frei genug.

      Hab ein schönes Wochenende,
      Anna-Lena

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      • wederwill schreibt:

        Liebe Anna-Lena, ich kenne die Schriftstellerin eigentlich gar nicht, aber ich kenne das Gefühl, manchmal einer gewissen Schwere nicht gewachsen zu sein. Dann suche ich nach Leichtigkeit, auch nach literarischer.
        Erholsame Wochenendstunden wünsche ich dir – Glück und Entspannung bei Wanderung und Cappuccino 🙂
        Herzlichst,
        Marlis

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        • Anna-Lena schreibt:

          ich habe ein anderes Buch angefangen, nicht leicht, aber besser zu verstehen und mit einer ganz anderen Thematik. Socher werde ich es auch vorstellen.

          Liebe Grüße und dir auch entspannte Stunden,
          Anna-Lena

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