Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen

Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen
Mein heutiger Lesetipp

Ich erinnere mich noch gut daran, als im Jahre 2012 Flüchtlinge und deren Sympathisanten am Oranienplatz in Berlin ein Zeltlager errichteten und gegen die Abschiebung protestierten.

Richard, ein emeritierter Professor der Altphilologie, verwitwet und allein in seinem Eigenheim am See, versucht seine neu gewonnene Zeit zu füllen.

Eher nebenbei erfährt er von der Auflösung des Camps am Berliner Oranienplatz. Als ein Teil der Flüchtlinge jedoch in einem Altenheim in seiner unmittelbaren Nähe untergebracht werden, wagt er sich Stück für Stück an die ihm völlig neue Welt heran. Mit einem Notizblock und einem Stift befragt er die aus Italien kommenden Afrikaner all das, was er wissen möchte.
Richard und die Afrikaner nähern sich an. Er verfolgt ihren Deutschunterricht, übernimmt sogar die Fortgeschrittenen für eine kurze Zeit, bis sie nach Spandau umgesiedelt werden.
Auch dorthin führt ihn sein Weg regelmäßig. Hin und wieder lädt er einen von ihnen nach Hause ein, der eine probiert sich auf Richards Klavier, ein anderer versucht Bücher zu lesen.

Schritt für Schritt entstehen freundschaftliche Bindungen und Richard, dessen landeskundliche Kenntnisse eher dürftig sind, erfahren einen enormen Zuwachs. Gleichzeitig bietet er in vielfältiger Form seine Hilfe an und muss erleben, wie die deutschen Formulare, Gesetze und Vorgaben selbst einem Deutschen nicht einleuchtend sind.

Die Zukunft der Afrikaner steht unter einem schlechten Stern, denn alles läuft darauf hinaus, dass sie ihre Asylanträge in Italien stellen müssen, da sie mit Booten über das Mittelmeer gekommen sind und somit abgeschoben werden. Trotzdem gelingt es einigen eine Duldung zu erreichen, um das Unweigerliche hinauszuschieben.

„Gegen, ging, gegangen“ ist ein Roman mit einem eher trockenen Schreibstil und keinen bemerkenswerten Höhen und Tiefen.
Zahlreiche Portraits der betroffenen Afrikaner, ihr Lebenshintergrund und ihre Situation rütteln auf, regen zum Nachdenken an.

Das Buch bekommt durch die derzeitige Situation der Flüchtlingsproblematik, der ungelösten Probleme, der gespannten Stimmung in unserem Land und den aktuellen Vorfällen in Köln eine besondere Brisanz. Es ist informativ und vermag durchaus die eine oder andere Sichtweise zu vertiefen oder verändern. Jeder, der sich Gedanken darum macht, wie es in unserem Land weitergeht und der in der Lage ist zu differenzieren, sollte dieses Buch lesen.

Gebundene Ausgabe, 352 Seiten, 19,99 €,
erschienen am 15.08.2015
ISBN 978-3-8135-0370-8

gehen_ging_gegangenBildquelle
© G.Bessen, 2016

Und weil es gerade so gut dazu passt, möchte ich euch den neuen Beitrag von Anna empfehlen, er ist lesenswert.

Über Anna-Lena

Lehrerin im Un-Ruhestand, mit vielen Hobbys, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Ich lese viel, schreibe gern selber und fotografiere, was mir vor die Linse kommt.
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20 Antworten zu Jenny Erpenbeck: Gehen, ging, gegangen

  1. Das Buch hört sich sehr interessant an und lieben Dank für’s verlinken! 🙂

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  2. Quer schreibt:

    Danke für den Buchtipp! Das könnte mich auch interessieren.
    Dir einen guten Wochenbeginn und liebe Grüsse,
    Brigitte

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  3. minibares schreibt:

    Schein äußerst interessant zu sein.
    Danke für die Vorstellung, liebe Anna-Lena
    deine Bärbel

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  4. bruni8wortbehagen schreibt:

    Danke für Deinen interessanten Lesetip, liebe Anna-Lena

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  5. Ingrid schreibt:

    Freut mich, dass dir mein Lesetipp gefällt – trotz der auffallend kargen Sprache. Hier passt sie gut, bei ihren anderen Büchern bin ich mir nicht sicher. Auf jeden Fall aber ist es ein lesenswertes Buch, ein Mosaiksteinchen 😉
    LG, Ingrid

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  6. Agnes schreibt:

    Du verstehst es gut das Buch vorzustellen, das klingt sehr gut.
    Es ist schade, dass solche Initiativen von Menschen den Asylsuchenden zu helfen, durch die momentane Situation eher weniger werden.
    Ich fühle mich verunsichert, hintergangen und weiß mitunter nicht was und wem ich glauben soll.

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    • Anna-Lena schreibt:

      Das ist auch nicht einfach, liebe Agnes und trotzdem ist jede Hilfe wichtig.
      Dass nicht alle Engel sind, liegt auf der Hand, das haben wir unter unseren eigenen Landsleuten ja auch.
      Unser Land hat sich darauf eingelassen, wird von vielen anderen Ländern so richtig im Stich gelassen (was mich ungemein empört), aber trotz allem müssen die Probleme gelöst werden und denwirklich Betroffenen muss Hilfe zuteil werden. Allerdings ist es verdammt schwer, die Spreu vom Weizen zu trennen, dafür müssen unsere Politiker sorgen. Du und ich sind dazu nicht befugt und nicht kompetent. Wir können uns lediglich auf unser Bauchgefühl verlassen – wenig, aber immerhin etwas.

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      • Agnes schreibt:

        Die Politiker meinte ich auch damit, dass ich mich hintergangen fühle. Nicht nur die deutschen Politiker, von der Gemeinschaft Europa merkt man nichts mehr, das empört nicht nur Dich.
        Und einen Verhaltenskatalog wie ihn Henriette Reker herausgeben wollte, oder hat, mit tollen Hilfen wie einer Armlänge Abstand, den braucht mit Sicherheit niemand.
        Da werden dann für mich Opfer zu Schuldigen gemacht.
        Aber wir, das Volk, werden es leider nicht ändern was da alles verkehrt läuft, wir können jeder nur einen kleinen Beitrag im stillen leisten.

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        • Anna-Lena schreibt:

          Deinen letzten Absatz unterschreibe ich sofort.
          Ich finde es auch ungeheuerlich, dass sich manche EU-Staaten so dermaßen raushalten, dass wir jetzt sehen müssen, wie wir klar kommen.
          Was mir wirklich Angst macht, ist die Hetzkampagne gegen die Kanzlerin, da fehlt mir auch der gemeinsame Schulterschluss aller Parteien.
          Stell dir vor, wir hätten morgen Neuwahlen, dann wird aber das Geschrei groß, wenn AfD und Konsorten gestärkt aufmarschieren…

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          • Agnes schreibt:

            Es gibt keinen Kanzlerkandidaten, der in allen Punkten immer alles so macht und entscheidet wie ALLE es wünschen.
            Genau wie es nicht DAS Auto oder DIE Kamera gibt, jeder sucht sich da für seine Zwecke das aus was am meisten zusagt, eine Ideallösung ist eine solche Entscheidung doch auch nie.
            Genau so ist es mit Parteien, oder wie jetzt mit der Kanzlerin.
            Man darf ihr Engagement nicht vergessen und wie klug und weitsichtig sie manches, nein vieles für Deutschland entschieden hat. Wenn sie mit ihrer „Einladung“ der Asylanten einen Fehler gemacht hat, dann heißt das noch lange nicht, dass andere Politiker solche Situationen besser bewältigen würden, von daher schließe ich mich da voll und ganz Deinen Worten an, dass diese Hetzkampagne gegen sie nicht gerechtfertigt ist.
            Ihr Fehler war auch weniger die Einladung, sondern die Fehleinschätzung der europäischen Partner, die sie mit dem Flüchtlingsproblem jetzt alleine lassen.
            Und wer da so kurzsichtig denkt und bei einer Wahl (wäre sie in Kürze) solche Kriterien nicht bedenkt …. aber leider gibt es die Leute. Leider.

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            • Anna-Lena schreibt:

              Ich denke auch, dass es nicht abzusehen war, wie die anderen damit umgehen. Und je mehr über die Silvesternacht in Köln bekannt wird, umso mehr muss gegen diese schwarzen Schafe vorgegangen werden und zwar gemeinsam. Wenn nicht jetzt, wann dann?

              So manche Dienststellen kommen einfach nicht aus dem Knick, wie das LaGeSo in Berlin, aber das kann man auch der Kanzlerin nicht ankreiden.

              Und die größte daneben gegangene Nummer war ja wohl die des niederbayerischen Landrats, die syrischen Flüchtlinge per Bus zum Kanzleramt zu schicken.
              Die wiederum haben in einem Hotel wenige Kilometer von uns entfernt (im Land Brandenburg) übernachtet, um am nächsten Tag wieder zurück zu fahren.
              So kann man Steuergelder auch verschwenden!

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              • Agnes schreibt:

                Wir haben nur gehört, dass die Flüchtlinge nach Berlin gefahren wurden und vor dem Kanzleramt ausgeladen wurden.
                Der Rest ist hier bei uns nicht angekommen, jedenfalls habe ich es nicht in den Nachrichten gehört.
                Das ist echt Verschwendung von Steuergeldern.

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  7. Rana schreibt:

    Hatte ich doch glatt übersehen, dass du das Buch so schön vorgestellt hast. Es ist ein beeindruckendes Buch mit einer sehr schönen klaren Sprache. Ich musste es allerdings (für den Moment) zur Seite legen, es ging mir vieles zu nahe, aber ich bewahre es für bessere Zeiten auf. Jenny Erpenbeck ist wirklich eine gute Schriftstellerin.

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    • Anna-Lena schreibt:

      Es läft dir ja nicht weg, liebe Rana.
      Ich habe gerade ein drittes Buch von ihr angefangen „Aller Tage Abend“, das gefällt mir auch sehr.
      Ein wenig gewöhnungsbedürftig ist ihr eher trockener Schreibstil.

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