Der ganz normale tagtägliche Wahnsinn

Zum Wochenanfang meinte ein Kollege zu mir “Ich glaube, ich bin zu alt für Klassenfahrten.“ Ich konnte ihn gut verstehen. Vierundzwanzig Stunden Dienst, kurze Nächte und lange Tage, eine große Verantwortung, alle Sinne überall, das kennt jeder Lehrer. Ich habe meine letzte Klassenfahrt vor zwei Jahren gemacht und ich vermisse nichts.

Ich bin in Altersteilzeit. Alt – Alter – Teilzeit. Eine Steigerung? Worte, die eigentlich realistisch beginnen, doch unrealistisch enden. Ich merke wenig von der Teilzeit, doch viel vom Alter. Die Arbeit hat sich nicht grundlegend geändert, ich profitiere lediglich vom besseren Zeitmanagement. Das Konto schreibt klare Teilzeit-Zahlen. Papier ist geduldig. Schüler nicht. Sie wollen ihre Arbeiten möglichst am selben Tag korrigiert zurückhaben, natürlich mit Bestnoten. Das Erste ist unmöglich, das Zweite oft ein Wunschgedanke.

Der Kollege ist nur wenige Monate jünger als ich. Sein Geburtsdatum hat die Altersgrenze nicht geschafft. Ich bin gerade noch in dieses Altersteilzeitmodell hineingerutscht, bevor diese Tür zuklappte. Er nicht. Damals wollte man den Lehrerüberhang auf diese Weise abbauen, mittlerweile – fünf Jahre später – stehen wir vor einem Lehrermangel (der bei richtiger Rechnung hätte vermieden werden können, denn wir sind gläsern genug, dass alles – und dazu noch im Zeitalter modernster Technik – vorab hätte ausgerechnet, berechnet und gehandelt werden können) .

Nun nehmen wir alles, was kommt. Lehrer, frisch von der Uni, die nach einer Weile Tätigkeit ihr Referendariat später beginnen, Quereinsteiger und sogar Pensionäre, die plötzlich merken, dass ihnen doch das Salz in der Suppe des Alltags fehlt. Eine bequeme Lösung, die Statistik sieht dadurch besser aus. Aber was ist mit denen, die einige Jahre studiert, sich durch die harten Mühlen des Referendariates gequält haben, nebenbei jobben mussten, um ihr Studium zu finanzieren? Ein wahrer Schlag ins Kontor. Früher sagte man: „Wer nichts wird, wird Wirt.“ Sicher gibt es schon ähnliche Formulierungen für den Lehrer.

Das pädagogische Händchen ist nicht unbedingt studienabhängig. Nicht-Lehrer können zu guten Pädagogen werden und Pädagogen können sich als komplette Fehlbesetzung herausstellen.

Nun, der Kollege muss sicher bis fünfundsechzig + arbeiten, ich nicht. Und ich muss auch keine Klassenfahrt mehr machen.
Dass der Lehrer heute eigentlich nur noch wenig Lehrer und mehr ein „Hans-Dampf-in-allen-Gassen“ als Erzieher, Familienhelfer, Therapeut, seelischer Mülleimer und was sonst noch alles ist, ist hinlänglich bekannt. Seit Gerhard Schröder auch noch eine Gattung der „faulen Säcke.
Die Besetzung auf der Bildungsbühne hat Ecken und Kanten und in die Zukunft schauend, kann einem da Angst und bange werden.

Aber das betrifft mich nicht mehr direkt, denn dann bin ich im fortgeschrittenen Alter und in meiner Privatvollzeit.

© G. Bessen 1.10.14

Über Anna-Lena

Lehrerin im Un-Ruhestand, mit vielen Hobbys, die nichts mit dem Beruf zu tun haben. Ich lese viel, schreibe gern selber und fotografiere, was mir vor die Linse kommt.
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36 Antworten zu Der ganz normale tagtägliche Wahnsinn

  1. sweetkoffie schreibt:

    Gratuliere zur Altersteilzeit! Glück gehabt, kann ich da nur sagen.
    LG sk

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  2. die3kas schreibt:

    Lehrer zu sein ist heute kein Pappenstiel mehr.
    Ich habe heute mehr Respekt denn je vor dieser Spezi 😉 *g*
    Diese Fehlplanung ist doch ein Witz und war ohne Kennung der Fakten schon erkennbar.
    Allerdings gibt es auch in diesem Beruf gute und leider auch schlechte.
    Die Guten haben Arbeit ohne Ende, die Schlechten machen es sich einfach und nehmen den Beruf nicht als Berufung wie die Guten.
    Es wird so viel Geld in Pensionen verplempert, da muss ich gestehen und 60 und 65+ muss bzw. sollte kein Lehrer mehr vor den Klassen stehen müssen.
    Es gibt genug Arbeiten in der Schule die vorbereitet werden müssen, da könnten sich dann die, die sich nicht zu hause wohl fühlen, austoben.
    Aber ein Allround Rezept wird es auch hier nicht geben, wenn nicht mal die Planung hin haut…

    Ich sag mal toi toi toi und achte auf Dich ❤
    LG kkk

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    • Anna-Lena schreibt:

      Es gibt auch unter den Lehrern viele schwarze Schafe, das gebe ich offen zu, aber ich kenne eigentlich fast nur engagierte und beherzte Lehrer und hoffe, dass die nie aussterben werden.
      Ich arbeite (außer Unterricht) ausschließlich zu Hause, da ich in der Schule keine Ruhe habe. Vorbereitungen stehen an und die Korrekturen, die besonders in der Oberstufe sehr zeitaufwändig sind.

      Ja, ich passe auf mich auf, versprochen 🙂 .
      LG Anna-Lena

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  3. quersatzein schreibt:

    Wunderbar, wie du das „auf den Tisch“ bringst. Ziemlich gleich läuft das auch bei uns, und ich bin oft sehr froh, dass ich den Absprung frühzeitig geschafft habe. Die Ansprüche, die man von allen Seiten an die Lehrkräfte stellt, steigen langsam ins Unermessliche – wogegen der Respekt, den man ihnen entgegenbringt umgekehrt proportional abnimmt, leider.
    Ich wünsche dir und deinem Kollegen viel Durchhaltekraft und möglichst viele freudige Momente.

    Mit lieben Grüssen,
    Brigitte

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    • Anna-Lena schreibt:

      „Die Ansprüche, die man von allen Seiten an die Lehrkräfte stellt, steigen langsam ins Unermessliche – wogegen der Respekt, den man ihnen entgegenbringt umgekehrt proportional abnimmt, leider.“ Das ist ein so toller Satz, der es auf den Punkt bringt und einem die Lust auf diesen Beruf immer mehr verleidet.

      Danke, liebe Brigitte und ♥liche Grüße von mir.

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  4. minibares schreibt:

    Von den Lehrern wird heute viel mehr verlangt als früher.
    Genau, sie sollen Therapeuten für die Seelen sein, auch für die Erziehung, was früher die Eltern gemacht haben.
    Dann gibt es oft ja auch diese Ganztags-Schulen, die erst am Nachmittag Feierabend haben. Das stelle ich mir besonders schlimm vor.
    Da hatte sich Herr Schröder aber ganz schön vergaloppiert.
    Liebe Grüße Bärbel

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    • Anna-Lena schreibt:

      Herr Schröder hat sich öfter vergalloppiert :mrgreen: .

      Ganz schlimm finde ich mittlerweile die Zeit für Verwaltungsaufgaben, die letztendlich auch von der Arbeit am Kind und der eh knappen Freizeit abgehen. Die Gesellschaft ist im Wandel, die Familien, die sozialen Probleme nehmen zu, das schlägt sich auch in der Schule und schon im Kindergarten nieder.

      Liebe Grüße von mir 🙂 .

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  5. Emily schreibt:

    Die Zeiten haben sich geändert. Diese Generation übrigens natürlich auch und dieses System erst recht. Ich habe bis vor einiger Zeit ja auch noch etwas unterrichtet. Das Fach habe ich mittlerweile abgegeben. Die jungen Leute sind immernoch begeistert und ich habe gerne mit ihnen gearbeitet, aber wir haben andere Werte und sprechen nicht mehr die selbe Sprache. Und ich bin nicht mehr dazu bereit mich zu verbiegen, damit ich passe. Die jungen Menschen können nichts dafür, es ist das System. Ein System, das so eines Tages scheitern muss. Und am Ende ist es niemand gewesen.
    Liebe Grüße ♥ Emily

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    • Anna-Lena schreibt:

      „Und ich bin nicht mehr dazu bereit mich zu verbiegen, damit ich passe“:

      Genau das mache ich auch nicht, sonst bin ich nicht mehr ich, aber das genau kann einem das Leben manchmal verdammt schwer machen.

      Wenn das System dann scheitert, haben es alle nur gut gemeint 😦 .

      Liebe Grüße
      Anna-lena

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  6. Brigitte schreibt:

    Da hast du wirklich noch Glück gehabt! Bei uns, bei den Freiberuflern, da wurde das überhaupt nicht angeboten. Man musste arbeiten bis zum Umfallen, Tatsache!

    Doch deinen Ausführungen über „das System“ kann ich nur zustimmen. Wir haben für so vieles Geld, doch unsere eigenen Bürger, Kinder, Senioren, und alle jene, die in diesen Systemen verhaftet sind, die werden alleine gelassen. Auch das Gesundheitssystem geht mir auf den Geist.

    Heute las ich im Teletext – und mir blieb buchstäblich die Spucke weg, dass ein 14jähriger versucht hat seinen Lehrer zu strangulieren. Nur das beherzte Eingreifen von Mitschülern verhinderte Schlimmeres.

    Der Lehrer hatte dem Schüler sein Handy weggenommen.

    Da braucht man nichts mehr meinen.

    Trotzdem – liebe Grüße, Brigitte

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    • Anna-Lena schreibt:

      Was du schreibst, ist traurig, aber wahr. In unserer heutigen Zeit scheint es, dass man systematisch kaputtgespielt wird, in jedem Beruf. Jeder vertritt seine eigenen Interessen, rücksichtslos und mit Ellenbogen. Und wer nicht mit dem Strom schwimmt, ist draußen und dann kann er sehen, wo er bleibt.

      Ich kassiere Handys auch ein, laut Hausordnung sind sie stumm geschaltet in der Schultasche zu sein. Wer sich nicht daran hält, muss sie abgeben. Viele Kollegen ziehen sich den Stress nicht mehr rein und dann wundert man sich doch nicht wirklich, wenn Schüler über Stühle und Tische gehen und machen, was sie wollen 😦 . Und letztendlich sind die Lehrer dann auch noch die Dummen. Wo leben wir eigentlich?

      Auch dir liebe Grüße ♥

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  7. werner schreibt:

    Liebe Anna-Lena 🙂
    Danke für den interessanten Einblick in den „ganz normale tagtäglichen Wahnsinn“ Deines Berufstandes. Ist bei uns in Österreich auch nicht immer so, einmal sind zu viel Lehrer, dann wieder zu wenig ? Eben wie es die Politik will ?
    Schönen Feiertag und herzlichen Gruß
    Werner

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    • Anna-Lena schreibt:

      Wie die Politik das will, so könte man es interpretieren oder wo die Gießkanne mit Geld mal wieder ausgeschüttet werden soll. Hier ein Tröpchen, da ein Tröpfchen…..
      Lass es dir auch gut gehen und hab ein sonniges Wochenende.

      LG Anna-Lena

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  8. Franka schreibt:

    Das Ganze ist eine Sache mit bösen Wechselwirkungen. Eigentlich wären es die Schulen, wäre es die Bildung, die drohenden Entwicklungen noch etwas entgegensetzen könnten. Aber unter den gegebenen Bedingungen ist das kaum noch möglich und so dreht sich die ungute Spirale immer weiter.
    LG

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    • Anna-Lena schreibt:

      Da hast du leider Recht, liebe Franka. Entschieden wird von „oben“, da kannst du Sturm laufen, wie du willst. Und daran lässt sich leider nichts ändern.
      Liebe Grüße
      Anna-Lena

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  9. bruni8wortbehagen schreibt:

    Sie würde Dir sehr gut tun, die Altersteilzeit, wenn Du Deine Stunden einhalten könntest, liebe Anna-Lena. So kämpfst Du täglich mit dem Mehr, was Dir aufgebürdet wird u. was Du klaglos über Dich ergehen läßt, weil andere sonst wieder leiden.
    Oder sehe ich es falsch?

    LG von Bruni,die hier sehr mit dem Internet und höchst gemeinen Viren kämpft…

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    • Anna-Lena schreibt:

      Liebe Bruni,
      die Altersteilzeit bezieht sich lediglich auf die reduzierte Unterrichtsverpflichtung, alles andere (und das ist ja nicht unerheblich) machst du wie ein Vollzeitlehrer. Dazu gehört Elternarbeit, schulische Verpflichtungen wie Konferenzen, Fest- und Projekttage etc. Die Überstunden, die da anfallen, kann man nicht abbummeln, wie in vielen anderen Berufen.
      Obwohl ja meine Gefühle oft hin- und hergegangen sind, in zwei Jahren aufzuhören, ändert sich meine persönliche Haltung gerade dazu in positiver Hinsicht. Das Leben hat viel mehr zu bieten als den Beruf.

      Liebe Grüße und gute Besserung. Schick die Viren in die Wüste :mrgreen: .

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  10. Frau Tonari schreibt:

    Ich ziehe ganz tief den Hut vor dem Berufsstand und möchte um nichts in der Welt wechseln.

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  11. Träumerle Kerstin schreibt:

    Ich ziehe den Hut vor den Lehrern der heutigen Zeit. Ich möchte ehrlich gesagt kein Lehrer sein. Keiner sieht die Arbeit, die man zusätzlich neben den reinen Unterrichtsstunden leistet. Und ja, Schüler wollen ihre Arbeiten sofort zurück haben, das war bei uns schon so. Nur wenn man eine schlechte Note erahnte, dann war es einem egal – so spät wie möglich 🙂
    Liebe Grüße von Kerstin.

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  12. Lutz schreibt:

    Der Beruf des Lehrers ist heute viel schwieriger als noch vor Jahren. In der Grundschule geht es noch einigermaßen aus aber in den Oberstufen und an anderen Schulen beginnt der Stress für die Lehrer. Ich kann dich gut verstehen das du in Altersteilzeit gegangen bist. Was den Verwaltungsaufwand angeht, ist das in anderen Berufen genauso. Der wird immer größer. Ich wünsche dir eine gute Zeit bis zum Eintritt in den Ruhestand. L.G.

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    • Anna-Lena schreibt:

      Danke, lieber Lutz, ich fange an zu entschleunigen und anderen Dingen in meinem Leben mehr Priorität einzuräumen. So vermeide ich in zwei Jahren möglicherweise das tiefe Loch.

      Liebe Grüße von mir ♥

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  13. ernstblumenstein schreibt:

    Ich gönne dir deine Altersteilzeit (was für ein Unwort). Du wirst in kein Loch fallen, liebe Anna-Lena, ich habe da gar keine Bedenken, weil Du genügend Interessen hast. Ich bin sicher, dass Du deine überblickbare restliche Zeit gut zu Ende bringst. ❤ Grüsse Ernst

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  14. freiedenkerin schreibt:

    Vielleicht ist der bundesweite Lehrer/innen-Mangel ja durchaus gewollt? Denn ungebildete bzw. ungenügend gebildete Menschen lassen sich von „denen da oben“ viel leichter gängeln und für dumm verkaufen als solche, die über ein gerüttelt Maß an Bildung verfügen…
    Ich freue mich sehr für dich, daß du nun in Altersteilzeit bist – auch wenn du mit Sicherheit noch keineswegs alt bist…
    Herzliche Grüße!

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    • Anna-Lena schreibt:

      Danke für die „Blumen“ 😆 .
      Dein Kommentar macht mich nachdenklich. Kann man wirklich wollen, dass Bildung und Kultur aussterben?

      Liebe Grüße 🙂

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      • Frau Tonari schreibt:

        Ich bin mir da nicht sicher, denn immerhin reagiert der „Mob“ unkontrollierter als das Bildungsbürgertum, das immer noch einen Sinn hinter Dingen vermutet 😉

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        • Anna-Lena schreibt:

          … auch wenn sich der Sinn manchmal als Un-Sinn entpuppt .

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        • freiedenkerin schreibt:

          Das Bildungsbürgertum ist aber auch wesentlich kritischer und denkt weitaus differenzierter, liebe Tonari, als jene Mitmenschen, die lediglich ein sehr geringes Quantum an Bildung mitbekommen haben. Diese lassen sich mittels Casting-Shows, sogenannten Doku-Soaps, und Medien wie der „Blöd“-Zeitung weitaus leichter ruhig stellen, ab- und in gewisse Bahnen lenken. Und ich bin, je länger ich die Zustände hier beobachte und mir Gedanken darüber mache, mehr und mehr davon überzeugt, daß dergleichen wirklich beabsichtigt ist. – Allerdings hoffe ich immer noch, daß ich mich täuschen möge… 😉

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